Dazugehören oder abseitsstehen?

Was macht die NS-Volksgemeinschaft aus, für die der Adolf-Hitler-Koog als Musterbeispiel gilt? – Alle Buchstaben der Station VOLK versuchen, diese vielschichtige Frage zu beantworten.

Gefeierte Dorfgemeinschaft

Am 30. November 1933 lädt das Gemeindeblatt „Büdelsdorfer Rundschau“ ein zum „Fest der Dorfgemeinschaft“. Die örtliche Bevölkerung habe gezeigt, wie sehr sie „hinter dem Führer und Volkskanzler Adolf Hitler steht und daß sie die große Volksgemeinschaft bejaht.“ Jetzt gelte es, „für die Notleidenden unserer Gemeinde, für das Winterhilfswerk“ einzutreten:
„Keiner darf sich ausschließen! Alle, ob arm oder reich, gehören zur Dorfgemeinschaft!“
Die „Hitler-Jugend“ und der „Gesangsverein von 1874“ würden am Programm mitwirken und der „SA-Musikzug“ und die „Hauskapelle des Turn- und Spielvereins ‚Glück auf‘“ musizieren.

Sichtbar werden Elemente der NS-Gemeinschaftsidee: das Verhältnis von Volk und Führer, die so herausgestellte Fürsorge für Notleidende, das Zusammenrücken unterschiedlicher Schichten, auch die Pflicht zur Mitwirkung und die „Gleichschaltung“ von NS-Formationen mit traditionellen Vereinen. Verschwiegen wird hier, dass man aber nicht jeden dabeihaben möchte …

Massenorganisationen

Formationen wie die „Hitlerjugend“ (HJ), die „Deutsche Arbeitsfront“(DAF) oder „Kraft durch Freude“ (KDF) und viele weitere bieten an, dazuzugehören, Gemeinschaft zu erleben.

Die Botschaft lautet: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“
Will man dazugehören oder „abseitsstehen“, wie es schnell heißt?

Aufnahme des fortgeschrittenen Rohbaus des „KdF-Seebades Rügen“ in Prora. Zwischen 1936 und 1939 wird an diesem 4,5 km langen Riegel von Hausblöcken gearbeitet. Er soll gleichzeitig 20.000 KdF-Urlauber beherbergen können.
Aufgrund des Krieges wird die Anlage nicht fertiggestellt. Auch Planungen für drei weitere vergleichbare Anlagen an der Ostsee werden nicht umgesetzt.

Reisen für alle? Die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF)

Die „Deutsche Arbeitsfront“ beschäftigt sich kaum mit Arbeitsbedingungen, um so mehr mit der Freizeit ihrer Mitglieder. Ihre nach einer Parole benannte Untergliederung „Kraft durch Freude“ organisiert massenhaft Angebote vom Theaterabend bis zur Ferienreise. Und diese KdF-Angebote überzeugen viele von der NS-Volksgemeinschaft. Im gehobenen Bürgertum gehört Urlaub längst zum Jahresablauf.
Für kleinbürgerliche Familien und besonders Arbeiterfamilien gilt das nicht. Viele von ihnen können jetzt zum ersten Mal für ein paar Tage verreisen.

Es wird die Geburtsstunde des Massentourismus. Busfahrten, geführte Wanderungen, Pauschalreisen und sonstige Freizeitangebote erreichen tatsächlich viele Menschen.

Manche Reisen führen in traditionelle Seebäder. Das mondäne Westerland aber freut sich nicht über die etwa im Jahr 1937 zusätzlich anreisenden 1.600 KdF-Gäste. Denn sie lassen fast kein Geld im Ort.

Für den Badeurlaub der Massen plant man riesige neue Seebäder. KdF-eigene Passagierschiffe wie die luxuriöse, 1938 in Dienst genommene „Wilhelm Gustloff“ erfüllen Ausgewählten sogar den Traum von einer Kreuzfahrt.

Die „Deutsche Arbeitsfront“ des Kieler Marinearsenals, einer Werft der Kriegsmarine. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1935 oder 1936.
Die Botschaft lautet: Es gibt keine Klassengegensätze mehr, sondern die geeinte „Betriebsgemeinschaft“. Im Zentrum, mit Mantel und Hut, sitzt der tatsächlich fast allmächtige Betriebsführer.

Vom gewerkschaftlichen Kampf zur „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF)

In den ersten Wochen der Regierung Hitler setzen die Freien Gewerkschaften meist auf Anpassung. Das schützt sie aber nicht vor Terror: Ihre Häuser werden besetzt und viele Funktionäre verhaftet.

Strategisch erhebt die neue Regierung den internationalen „Kampftag der Arbeiterklasse“, den 1. Mai, zum „Feiertag der Nationalen Arbeit“. Verkrampft marschiert man am 1. Mai 1933 gemeinsam.

In der NS-Volksgemeinschaft sollen soziale Konflikte der Vergangenheit angehören. Die Freien Gewerkschaften werden am 2. Mai 1933 zerschlagen. Ihre Vermögen gehen in die am 10. Mai 1933 gegründete „Deutsche Arbeitsfont“ (DAF) über. Sie wird die größte NS-Massenorganisation.

23 Millionen Menschen gehören ihr im Jahr 1938 an.

Das Besondere: In der DAF sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam organisiert. Unterschiedliche Interessen werden der Gemeinschaftsidee untergeordnet. Tarifauseinandersetzungen gibt es nicht mehr, staatlich ernannte „Treuhänder der Arbeit“ setzen jetzt Löhne und Arbeitsbedingungen fest.

In Unternehmen bilden Arbeitgeber und Belegschaft nun die „Betriebsgemeinschaft“. Allerdings herrscht das Führerprinzip: Der „Betriebsführer“, Unternehmer oder Direktor, ist ab Januar 1934 nach dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ mit fast unbeschränkter Macht ausgestattet.

– Die Herr-im-Haus-Frage ist damit geklärt und die Betriebsgemeinschaft geordnet.

Der „Oberste Landjahrführer“ Staatsrat Adolf Schmidt-Bodenstedt besucht 1939 das Landjahr-Jugendlager Wolmersdorf. Die Jungen tragen ihre Uniformen der Hitlerjugend, Schmidt-Bodenstedt die Uniform eines hochrangigen HJ-Gebietsführers mit dem zusätzlichen Winkel des Landjahrs. Die Jungen sind ehrfurchtsvoll und stolz angetreten. Ist das ein Gemeinschaftserlebnis oder Missbrauch von Kindern und Jugendlichen?

Die Kieler Hitlerjugend marschiert im Juni 1937 beim III. Nordmarktreffen an regionalen NS-Würdenträgern vorbei. Uniformierte Jugend im Gleichschritt erlebt sich als ernst genommener Teil der NS-Volksgemeinschaft.
Bindet sie das an den nationalsozialistischen Staat?

Titelblatt der gemeindeamtlichen Büdelsdorfer Rundschau vom 30. November 1933 mit der Einladung zum „Fest der Dorfgemeinchaft“.