„Eindeichung“.
Die Sprache des „Lebensraumkriegs“.

Wehrbauern als Lahnungen

Auch sprachlich erscheint der Weg von „friedlicher Landnahme“ an der Nordseeküste zum gewaltsamen „Lebensraumkrieg im Osten“ als kurz.

Immer wieder bemüht die NS-Propaganda Begriffe wie „Sturmflut“, „Eindeichung“, „Neuland“ und „Kultivierung“ als ‚verdeutlichende‘ Sprachbilder für den „Ostkrieg“.

Nutzen Nationalsozialisten die gefälligen, dem Ringen mit der Nordsee entlehnten Sprachbilder, um das Unaussprechliche auszudrücken, das entgrenzte Völkermorden zu umschreiben?

Der stellvertretende Reichsprotektor Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, am 26. Mai 1942 in Prag.


Reinhard Heydrich 1941 in seiner ersten Rede als stellvertretender Reichsprotektor in Prag:

„Das sind die Räume, die man eigentlich behandelt wie die Eindeichung neuen Landes an der Küste, indem man ganz im Osten einen Wehrwall zieht von Wehrbauern, um dieses Land einmal abzuriegeln gegen die Sturmflut Asiens, und das man durch Querwälle unterteilt, um allmählich diesen Boden für uns zu gewinnen, indem man weiterhin am Rande des eigentlichen Deutschland, das vom deutschen Blut besiedelt wird, immer langsam einen deutschen Wall vorlegt nach dem anderen, damit man nach dem Osten hinaus durch deutsche Menschen, die deutschen Blutes sind, die deutsche Besiedlung vortragen kann.“

In diesem Sprachbild werden deutsche Wehrbauern als Baumaterial für Lahnungsbauten in den „Räumen“ des Ostens verstanden. Derartige „Wehrwälle“ richteten sich gegen die „Sturmflut Asiens“, gemeint sind die ‚rassisch minderwertigen‘ Bewohner jener Regionen, die fortan von „deutschem Blut besiedelt“ würden. Das, so Heydrich, wäre eine Behandlung „wie die Eindeichung neuen Landes an der Küste“. – Nur rhetorische Spielerei oder rassistische Menschenverachtung in Reinform?

Titelseite der Werbeschrift „Ostland kehrt nach Europa zurück“, Riga 1941.

Für ihn soll die Broschüre von Frotscher werben: Schleswig-Holsteins NSDAP-Gauleiter und Oberpräsident sowie Reichskommissar Hinrich Lohse in Riga 1941.

Menschenverachtende Abbildungen aus Frotschers Werbebroschüre.

Die Schlussseite von Frotschers Werbebroschüre: Die Shoa wird mit Sprachbildern der Landgewinnung verknüpft.

Shoa und Landgewinnung

Die Werbebroschüre „Ostland kehrt nach Europa zurück“, verfasst von E. Frotscher, im Herbst 1941 endet so:

„Besonders schwierig lag für Kauen das Judenproblem. … Am 15. August war die Ausschaltung des Judentums aus dem übrigen Stadtgebiet vollendet …

Es ist für uns mehr als eine Äusserlichkeit, dass der Reichskommissar Hinrich Lohse, … und viele andere mit wichtigen Aufbauarbeiten betraute Persönlichkeiten aus Schleswig-Holstein kommen. Dort wird dem Meer in harter Arbeit fruchtbarer Ackerboden abgerungen. Und hier? Ein Meer brandete gegen die Dämme Europas. Diese Dämme waren morsch und brachen bei der ersten Sturmflut. Welle auf Welle des bolschewistischen Asiatentums ergoss sich über das fruchtbare, schöne Land, über Städte und Dörfer, vernichtete Kultur und Bauerntum. Jetzt wird der Damm aufgerichtet. Land wird erneut gewonnen und der tückischen Sturmflut, die weit zurückgetrieben wurde, Meter für Meter europäischen Kulturbodens abgetrotzt. Deichhauptleute, Bauern und Arbeiter sind am Werk: Ostland kehrt nach Europa zurück.“

Die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung in der litauischen Stadt Kaunas werden mit Bildern der Landgewinnung verknüpft. Von Juli bis Dezember 1941 ermordet das Einsatzkommando 3/A zusammen mit Hilfstruppen nach eigenem Bericht 137.346 litauische Juden. In Kaunas fristen lediglich 15.000 „Arbeitsfähige“ ihr Leben im eigens eingerichteten Getto. Sie sollen später ermordet werden. All das findet öffentlich statt.

Auch der Journalist E. Frotscher weiß darum. Er verfasst den jubelnden „Reisebericht“ über eine im Gefolge von Reichskommissar Lohse durchgeführte Besichtigungsfahrt zu Propagandazwecken. Hier seien „Deichhauptleute, Bauern und Arbeiter am Werk“ und würden das Ostland nach Europa zurückführen…
– Warum diese grenzenlose Häme und Schamlosigkeit?