Volksgemeinschaft im Kleinen

Versuchsanordnung

Die regierungsamtliche Schrift „Neuland am Meer“ feiert 1936 den Adolf-Hitler-Koog als ersten Koog, der „von der Eindeichung bis zur fertigen Besiedlung im nationalsozialistischen Staat nach einem einheitlichen Plan entstanden ist.“

Wie in einem Reagenzglas hat man eine neue Gemeinschaft entworfen. Das Ziel der nationalsozialistischen Planer lautet, eine perfekte Volksgemeinschaft im Kleinen zu verwirklichen.

Ergebnis

Wie ist dieses Ideal beschaffen?

Völlig übereinstimmend sind in der Gemeinschaft des Adolf-Hitler-Kooges die „arische“ und Dithmarscher Herkunft sowie die politischen Ansichten. Dafür hat die Auswahl der Siedler gesorgt.

Aber der gesellschaftliche Aufbau beruht ausdrücklich auf sozialer Ungleichheit: Im Koog leben Bauernfamilien mit stark unterschiedlichen Hofgrößen, Handwerker und Landarbeiter. Das soziale Vorbild liefert das vorindustrielle Dorf.

Wird hier Gemeinschaft vor allem durch Herkommen und Gesinnung gestiftet?

– Mit diesem eigentlich völlig unsinnigen Ausspruch stellt die Regierungsbroschüre „Neuland am Meer“ 1936 Bezüge zwischen ganz klein und ganz groß her. Nur: Was genau ist gemeint? Ein Neuanfang? Die Volksgemeinschaft?

Zitat: Neuland 1936, S. 31

Hohe Erwartungen

Auf der neu zusammengestellten, privilegierten Mustergemeinschaft und ihrer schönen heilen Welt des Adolf- Hitler-Kooges lasten hohe Erwartungen.

Zwei sehr unterschiedliche Beispiele zeigen das deutlich:

„dem Führer besonders verpflichtet“
Oberpräsident Hinrich Lohse schreibt im Vorwort der „Denkschrift zur Einweihung des Adolf Hitler-Kooges“:

„Hier im Adolf Hitler-Koog werden nun nationalsozialistische Bauern und Arbeiter eine neue und schöne Heimat finden. Sie haben diese neue Scholle erworben, sie werden schaffen, säen und ernten müssen, um sie zu besitzen. Sie sind dem Dritten Reich und seinem Führer besonders verpflichtet, da sie nicht nur Kämpfer und Träger seiner Bewegung sind, sondern ihre neue Heimat auch seinen Namen trägt.“

„neues, besonders nationalpolitisches Brauchtum entwickeln“
Die Lehramtskandidatin Ingeborg Christiansen verfasst um 1938 ihre wissenschaftliche Staatsexamensarbeit über den Adolf-Hitler-Koog. Sie führt zahlreiche Gespräche mit Planern und Siedlern. Ihre fleißig recherchierte Studie ist stark tendenziös.

Sie vermisst Dithmarscher Traditionspflege. Aus diesem leicht kritischen Blickwinkel heraus formuliert sie ihre Erwartung an zukünftige Kulturleistungen der Bewohner des Adolf-Hitler-Kooges:

„Männer dieses Volkes sind nun Siedler im Adolf Hitler-Koog. Sie bringen kaum etwas mit an altem Gut, an Sitte und Brauch. Das sah und hörte ich auch bei meinen Besuchen im Koog. Wohl verbindet engste Volksgemeinschaft diese Menschen. Gemeinsam ist ihnen der Feind vor dem Deich, gemeinsam ist ihnen die große Aufgabe, gemeinsam ist ihnen altes Kämpfertum unter der Fahne Adolf Hitlers, gemeinsam die Arbeit auf neugewonnenem Land. All das Gemeinsame ist bester Untergrund für neue Sitten, für neues Brauchtum einer lebendigen völkischen und nationalen Gemeinschaft. …
Alles das ist ja im Koog einheitlich gerichtet durch die gleiche Arbeit, durch das gleiche Wollen, durch das gleiche Ziel: freier Mensch zu sein auf freier Scholle und Kraftquelle des Volkes zu werden.
Sicher wird sein, dass sich da draussen im Adolf Hitler-Koog aus all dem Vorhergesagten ein neues, besonders nationalpolitisches Brauchtum entwickeln wird, das noch gefördert wird durch Schule und Gliederung der Partei.“

Zitate: Denkschrift 1935, S. 2; Christiansen um 1938, S. 114f.

Eventurell gestellte Aufnahme mit vermeintlichen Angehörigen des weiblichen Arbeitsdienstes im Zusammenhang mit der Einweihung der Neulandhalle 1936. Der Historiker Biel schließt nicht aus, dass es sich um Führerinnen des (noch) freiwilligen weiblichen Arbeitsdienstes handelt, die zum Schein angetreten sind.

Weiblicher Arbeitsdienst im Adolf-Hitler-Koog

Zur Idee einer gelebten „Volksgemeinschaft“ zählt für die Nationalsozialisten der alle Standesunterschiede einebnende Arbeitsdienst für junge Leute.

Eigentlich bereits ab 1935 für alle Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren verpflichtend, tritt diese Dienstpflicht aus organisatorischen Gründen für junge Frauen erst 1939 in Kraft. Wegen der hohen Symbolkraft als Gemeinschaftssignal wird jedoch das Arbeitsdienstheim für den (noch freiwilligen) weiblichen Arbeitsdienst im Adolf-Hitler-Koog pünktlich zur Koogeinweihung fertiggestellt.

Auf ersten Fotografien treten eventuell sogar aus Arbeitsdienstführerinnen zusammengestellte Gruppen zum Schein auf, wie der Historiker Jens-Peter Biel für denkbar hält. Denn Arbeitsdienstleistende für den Koog mussten erst gewonnen werden.

Bis 1945 unterstützen „Arbeitsmaiden“ in erster Linie die Bäuerinnen bei ihrer Arbeit. Für die einen ist das vergleichsweise freie Leben in Gruppe und Heim eine Befreiung aus dem vielleicht strengen oder einengenden Elternhaus, für die anderen eine erzwungene und eher bedrückende Gemeinschaftserfahrung.

Blut, Rasse und Auswahl

Ingeborg Christiansen schreibt in ihrer Staatsexamensarbeit um 1938:
„Dagegen setzt der nationalsozialistische Staat weit über Kapital und Zins das Blut und die Eignung. So erfolgte die Auswahl der Siedler im Adolf-Hitler-Koog ohne Rücksicht auf ihre finanziellen Verhältnisse. … Der beste deutsche Volksgenosse ist heute gut genug, Siedler auf dem neuen Boden zu werden.“
Blut und Rasse gelten Nationalsozialisten als Ausweise besonderen Wertes eines Menschen.

In einen Band der Porträtreihe „Das deutsche Volksgesicht“, die Idealbilder beinhaltet, schaffen es gleich vier Angehörige des Adolf-Hitler-Kooges: eine Bäuerin und ein Bauer sowie die beiden oft abgebildeten Zwillingsschwestern.

In nahezu biblischer Sprache heißt es in dem Band:
„Als der Koog seine Weihe durch den Führer erfuhr und seinen Namen bekam, da fügte es sich so, daß er die beiden Mädchen, weizenblond, stark und gesund wie gute Ernte, mitnahm auf seine Fahrt durch die jungen Fluren: ein Sinnbild der Fruchtbarkeit.“

Zitate: Christiansen um 1938, S. 75; Lendvai-Dircksen 1940, S. 23

Vorzeigefamilie?

Am Rande der Einweihung des Kooges besucht Adolf Hitler am 29. August 1935 auch Haus und Familie des an diesem Tag zum „Ortsbauernführer“ ernannten Otto Thießen.

Die Fotografie wird bei der Verabschiedung aufgenommen. Von Hitler weitgehend verdeckt werden der Ortsbauernführer mit Armbinde und dessen kleine Tochter. Frau Thießen schüttelt die Hand des „Führers“, keineswegs unterwürfig, sondern selbstbewusst, als Gastgeberin.

Die meisten Anwesenden, links, rechts und in der Mitte des Bildes, blicken ehrfürchtig und hingerissen, ein Junge zeigt den Hitlergruß.
Doch die hinter der Bäuerin stehende junge Frau scheint von der Aufregung kaum berührt, sondern blickt Hitler regelrecht skeptisch an.

– Ist die Wirklichkeit im Koog komplexer, als die homogene Siedlerauswahl vermuten lässt?

Die Broschüre des weiblichen Arbeitsdienstes wirbt mit fröhlichen jungen Menschen bei der Kohlernte im Adolf-Hitler-Koog. Sie ist – der Uniform nach – Mitglied des Arbeitsdienstes, er wahrscheinlich ein Bauernsohn.

Eine Lagerführerin des weiblichen Arbeitsdienstes spricht mit dem NSDAP-Ortgruppenleiter des Adolf-Hitler-Koogs. Eine für den Fotografen gestellte Idealsituation, die Gemeinschaft, Unterstützung und politische Abstimmung signalisiert.