Störungen unerwünscht

Heile Welt

Für die propagandistische Außenwirkung des Adolf-Hitler-Kooges erscheint eine perfekt funktionierende Kooggemeinschaft als unentbehrlich.

keine Konflikte

Konflikte gehen Außenstehende nichts an, notfalls unterdrückt man sie von ‚oben‘. Ein Beispiel dafür entwickelt sich ganz am Anfang durch die Mitwirkung der angesiedelten Landarbeiter an der schnellen Fertigstellung der zu präsentierenden Erbhöfe. Im Gegenzug bewirtschaften die Bauern deren kleine Parzellen mit und sollen die Erträge an die Landarbeiter abliefern. Darüber entbrennt Streit, den Kreisbauernführer Hans Beeck durch ein Machtwort ‚löst‘.

oder Ausschluss

1936 verweist Beeck drei Siedler des Kooges. Denn: Ein verschuldeter Handwerker, ein trinkender Wirt und ein koffeinsüchtiger Bauer widersprechen seinen Ansprüchen an „absolute Sauberkeit innerhalb der neuen Kooggemeinschaft“, wie noch 1960 ein Chronist ganz unverkrampft notiert.

Zitat: Volquardsen 1960, S. 43

Die Familie im Haferfeld im Adolf-Hitler-Koog wird oft fotografiert: Mit fünf Kindern – die wohl gerade schlafende Jüngste fehlt auf dieser Aufnahme – entspricht sie dem NS-Fortpflanzungsideal.
Von der Haferernte verschnaufend, wird der Vater (gleich) etwas essen und trinken, während der Wohntrakt des Hauses mit offenen Fenstern und Türen lüftet. Es ist Sommer, die Ernte ist ertragreich – das bäuerliche Familienidyll scheint perfekt.

Doch auch hier gibt es alles …

Verleumdung

Im September 1941 richtet die im Adolf-Hitler-Koog ansässige M. R. ein anonymes Schreiben an mehrere Polizeibehörden. Sie bezichtigt ihre Nachbarin E. H. der Abtreibung. Beide leben in der Fischersiedlung des Kooges. Die Polizei ordnet das Schreiben der R. zu, die Anschuldigung erweist sich als haltlos.

Auslöser ist ein schwerwiegender Konflikt zwischen beiden Familien. Schließlich verurteilt das Amtsgericht Itzehoe Frau R. wegen Verleumdung zu zweimonatiger Haft.

Die Geschädigte erhält zudem die Möglichkeit, diese Verurteilung in der „Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung“ bekannt zu machen. – Den Richter kümmert offenbar nicht, dass beide aus dem Vorzeige-Koog kommen und diese Öffentlichkeit eigentlich nicht erwünscht ist.

Gefährdeter Behinderter

Von Januar bis August 1942 befindet sich der Landarbeiter H. H. in der Landesheil- und Pflegeanstalt Schleswig-Stadtfeld. Aus anderen Gründen in die Kieler Universitätsklinik überwiesen, entwickelt sich bei ihm laut Diagnose eine Schizophrenie. Nicht das erste Mal ist er damit akut gefährdet, in den NS-Behindertenmord zu geraten, vor allem als zum Juni die Krankenkasse die Zahlung der Pflegekostenerstattung einstellt.

Die Mutter des H. kämpft seit Monaten um seine – lebensrettende – Entlassung. In den Akten ist auch ein vom Bürgermeister der Gemeinde Adolf-Hitler-Koog auf Anfrage ausgefüllter Fragebogen über den Landarbeiter. Im Juni beantragt der Bauer H. W. die Entlassung des H., er wolle ihn auf seinem Hof beschäftigen.
Im August 1942 wird H. tatsächlich entlassen. – Seine Rettung!

KZ-Aufenthalt

Der Koogbewohner F. H., Mitglied der NSDAP seit 1931 und der Waffen-SS seit 1939, wird 1940 aus Partei und Gliederungen ausgestoßen. In einem Strafprozess, in dem der Siedler J. K. eine Aussage macht, wird H. strafrechtlich zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Anschließend überstellt man ihn sogar in ein Konzentrationslager.

LASH Abt. 64.1, Nr. 23295;
LASH Abt. 460.16, Nr. 222