Doppelrollen
Bei aller Zustimmung einer bald großen Bevölkerungsmehrheit: Die NS-Volksgemeinschaft ist eingebettet in eine diktatorische Herrschaft.
Ständig herrscht Hektik.
Verbunden mit Rechtlosigkeit und Gewalt, werden die Grenzen zwischen Gesellschaft und Herrschaft, auch die zwischen Partei und Staat verwischt.
Das Beispiel Schleswig-Holstein: NSDAP-Gauleiter Hinrich Lohse wird im März 1933 auch Oberpräsident der preußischen Provinz. Er ist damit oberster Vertreter von Partei und Staat in einer Person. Und es gehört zum NS-Herrschaftsprinzip, dass nicht immer klar ist, in welcher Rolle er gerade handelt: in der durch Reste von Regeln gebändigten staatlichen oder in der völlig ungezügelten Parteifunktion.
Herrschaftsprinzip
Lohse handelt erfolgreich: Wie die NSDAP auf Reichsebene geht er ein Bündnis mit den alten konservativen Führungsschichten ein. Damit funktioniert die Verwaltung und werden wichtige Gruppen in den NS-Staat hereingeholt.
Den Preis zahlen von Beginn an Demokraten, weiterhin politisch Andersdenkende und „Nichtarier“, also als Juden gekennzeichnete Deutsche: Sie werden gewaltsam verfolgt.
Das Kieler Gewerkschaftshaus im Frühsommer 1933, den Freien Gewerkschaften Kiels enteignet und der nationalsozialistischen „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) übergeben.
Hakenkreuzfahnen hängen am Gebäude. Das Türschild (links im Bild) gibt den neuen Eigentümer an: die NSDAP, über dem Schriftzug das Parteiemblem mit Hakenkreuz, Lorbeerkranz und Reichsadler.
Festakt der Kieler Landesuniversität im November 1937: Die Reichskriegsflagge aus der Monarchie vor 1918 schmückt den Saal, ansonsten herrschen Fahnen und Symbole der NSDAP vor. Viele Wissenschaftler tragen Parteiuniformen. 1935 sind 101 der insgesamt 189 Professoren Mitglieder einer Parteigliederung.
Ein Viertel des Lehrkörpers ist beim Herrschaftswechsel 1933 aus rassischen oder politischen Gründen entfernt worden. Protest der Kollegen bleibt aus. Ungeahnte Karrierechancen werden genutzt – ein schäbiger wissenschaftlicher Generationswechsel!
Gemeinsamer Propagandamarsch der nationalsozialistischen „Sturmabteilung“ (SA) und des deutschnationalen Soldatenbundes „Stahlhelm“ vor den Reichstagswahlen im März 1933 in Flensburg. Wie in der Koalitionsregierung Hitler gehen die alte und die neue politische Rechte demonstrativ zusammen.
Zahlreiche Passanten säumen den Marsch am Straßenrand. Offenbar ist für sie Deutschland im Aufbruch und die „Volksgemeinschaft“ ein Versprechen.
Nach der Reichstagswahl wird am 6. März 1933 in Schleswig auf dem Gebäude der schleswig-holsteinischen Provinzialregierung feierlich die Hakenkreuzflagge gehisst. Das Symbol soll ausdrücken: Die NSDAP übernimmt staatliche Herrschaft! Besonders gebannt blicken, links im Bild zu erkennen, Kinder und Jugendliche dem weihevollen Akt zu.
Aufstiege – Verfolgung und Mitmachen
In Schleswig-Holstein hat bereits 1932 die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für die NSDAP gestimmt. Die Region gilt innerhalb der NSDAP deshalb als „Mustergau“. Das bleibt auch so. Proteste gegen die Regierung Hitler verebben schnell, Feierstimmung dominiert. Und Gauleiter sowie Oberpräsident Hinrich Lohse hat 1933 bis 1945 die beiden höchsten Ämter inne. Viele deutschnationale Vertreter der alten Führungsschichten können in ihren staatlichen Funktionen weiterarbeiten.
Allerdings entstehen überall mächtige Parallelgewalten der NSDAP: Kreisleiter „kontrollieren“ Landräte, Ortsgruppenleiter die örtlichen Bürgermeister. Die Zusammenarbeit klappt mal besser, mal schlechter.
Allerorten wollen NSDAP-Mitglieder für ihren Einsatz belohnt und versorgt werden. In allen Berufsfeldern lohnt das Bekenntnis zur Bewegung: Hausmeisterposten, Verwaltungsaufstiege, Lehrerbeförderungen, Wissenschaftlerkarrieren, Fortkommen in Firmen, Aufträge für Selbstständige, Handwerker und Händler. Profiteure des nationalsozialistischen Aufbruchs finden sich überall.
Zugleich ist die nationalsozialistische Machtübernahme von Terror gekennzeichnet. Auch in Schleswig-Holstein drangsalieren SA-Angehörige „politische Gegner“, nämlich Republikaner, Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter, in frühen „Konzentrationslagern“. Viele werden gefoltert, einige ermordet.
Schnell übernimmt der NS-Staat die „Gegnerverfolgung“: Wer weiter politisch oppositionell handelt, wird von der regulären Justiz zu Zuchthausstrafen verurteilt.
Erscheint das Urteil dann NS-Vertretern als zu mild, kann unterhalb der rechtlichen Ebene die Strafe polizeilich ‚korrigiert‘ und der Andersdenkende auf unbestimmte Zeit in nun staatliche Konzentrationslager eingewiesen werden.
Die Mehrheit der Bevölkerung betrifft das nicht. Sie erlebt nach der Selbstgleichschaltung von Gesellschaft, Verbänden und öffentlichen Einrichtungen überall ein Zusammenrücken im deutschen Aufstieg und in der völkisch-nationalen Gemeinschaft.
Verstörendes wird ausgeblendet.