Künstlerischer Mittelpunkt
Beim Betreten der Neulandhalle fällt der Blick auf ihre durchgestaltete Ostwand:
Im Zentrum steht ein wuchtiger brauner Kamin, umrahmt von einem vierteiligen Wandbild, das perfekt die verfügbaren Flächen aufgreift und nutzt.
Überlebensgroß gemalt erzählen die Teilbilder eine Geschichte des Kooges: Deichbau trotzt dem Meer das Land ab, Saat und Ernte stehen für die Urbarmachung des Neulandes, schließlich wird mit dem Hausbau die eigene „Scholle“ besiedelt.
…ein durchgestaltetes NS-Idealbild
Der Maler Otto Thämer zeichnet ein nationalsozialistisches Idealbild. Hier arbeitet der heldenhafte, arische Vorzeigearbeiter – ganz ohne Maschinen, fernab der modernen Welt. Blond, athletisch und schwer arbeitend – so stellt der Künstler typische Deichbauer, Siedler und Handwerker vor. Mühen und Erschöpfung werden ausgeblendet, auch die Persönlichkeiten der Einzelnen. Denn: Nur die Gemeinschaft zählt.
Ein Denkmal der Arbeit für die Volksgemeinschaft?
Altar der Volksgemeinschaft?
Der Kunsthistoriker und leitende Kulturredakteur der (nationalsozialistischen) „Kieler Neuesten Nachrichten“, Reinhold Stolze, stellt 1936 in der Kulturzeitschrift Nordelbingen die Neulandhalle eingehend vor. Über Otto Thämers vierteiliges Wandgemälde schreibt er:
„In ganz besonderem Maße scheint uns in vielbesuchten Räumen das Wandbild, sofern es den Geist einer Volksgemeinschaft lebensvoll verkörpert, dazu berufen zu sein, die Kunst dem Volke zurückzugewinnen und die einzelnen Volksgenossen wieder empfänglich zu machen für den Sinn der Kunst und für die kulturelle Aufgabe und Arbeit des Künstlers.
Ein glänzendes Beispiel solcher volksverbundenen Wandmalerei sind die vier Fresken der Neulandhalle. Der Adolf-Hitler-Koog ist von Bauern, Handwerkern und Arbeitern besiedelt. Was diese Volksgemeinschaft beruflich beschäftigt, was hauptsächlich ihren Ideen- und Erlebnisbereich ausmacht, ist der Deichbau, die Landwirtschaft und das sich am Hausbau betätigende Handwerk.“
Zitat: Stolze 1936, S. 22
Der Publizist und Ministerialbeamte Frank Trende hat sich eingehend mit der Geschichte des Dieksanderkooges und der Neulandhalle befasst. Er schreibt 2011 in seinem Buch
„Neuland! war das Zauberwort“ über das Wandgemälde:
„So verstanden sind Otto Thämers Fresken die Heiligenbilder in der nationalsozialistischen Ersatzkirche, in denen die Blut-und-Boden-Ideologie und die große Gemeinschaftsarbeit zum Wohle des Volksganzen verherrlicht wird – Thämers Fresken liefern das Bildprogramm für den Tempel der Volksgemeinschaft im Adolf-Hitler-Koog.“
Zitat: Trende 2011, S. 108
Säemann und Schnitterin
Verwachsen mit Arbeit und Land, stehen „Säemann“ und „Schnitterin“ für Saat und Ernte. Ein blonder Siedler geht mit umgebundenem Tuch über ein Feld und verteilt das Saatgut mit der Hand – eine Verherrlichung des traditionellen deutschen Bauerntums. Wirklich schweißtreibende Handarbeit gilt als Männersache.
Die Schnitterin ist denn auch die einzige Frauenfigur im Bild. Sie hilft dem sensenden Mann, indem sie die Ähren bündelt.
Beide Motive bilden die Mitte der flächenfüllenden Wandmalerei und umrahmen den mächtigen Kamin. So bilden sie thematische und farbliche Brücken zu den Großtaten „Deichbau“ und „Hausbau“. Sie stehen für das rückwärtsgewandte nationalsozialistische Ideal einer ‚heilen‘ Welt ohne Industrialisierung.
Zwischen den Bildern von Saat und Ernte fügt sich das Relief von Schwert und Ähre ein, das Symbol der „Blut-und-Boden“-Ideologie.
Für den Kieler Kulturredakteur Reinhold Stolze, der 1936 die Wandmalerei in der Neulandhalle vorstellt, erfüllt Otto Thämers Arbeit seine Vorstellung von Kunst:
„Wir verlangen von der Malerei, daß sie die Idee und Zweckbestimmung des Raumes eindeutig symbolisiert, daß sie durch die Motive und die Art ihrer Gestaltung geistig und seelisch mit ihrer Umwelt verschmolzen ist. Es wird heute von unserer Regierung immer wieder und mit Recht betont, daß die Kunst im edelsten Sinne volkstümlich, einfach und gemeinverständlich sein soll.“
Zitat: Stolze in Nordelbingen 1936, S. 22
Deichbau und Hausbau
Mit den Themen „Deichbau“ und „Hausbau“ feiert Otto Thämer eine gemeinschaftliche Landgewinnung und Besiedlung des neuen Lebensraums. Deicharbeiter nutzen Spaten und Schaufel, unterstützt nur von starken Pferden, die auf Schienen kleine Wagen voller Erde ziehen. Auch die Bauhandwerker arbeiten traditionell und mit einfachem Werkzeug.
Der „Deichbau“ links ist in Tönen von hellem Ocker bis dunklem Braun-Violett gehalten. Der „Hausbau“ rechts wird von den roten Ziegeln der Kooghäuser dominiert.
Die abgebildeten Handarbeiter sind überwiegend blondschöpfig, stilisiert als ‚rasserein arisch‘. Selbst die Pferde erscheinen ‚nordisch‘ und kräftig gebaut mit blonder Mähne.
Wieder tritt das Individuelle zurück.
– Sieht so Gemeinschaft aus?
Die Wahl des Künstlers ist kein Zufall.
Otto Thämer (1892–1975) ist Mitglied der 1926 gegründeten schleswig-holsteinischen Künstlergruppe „De Warft“. Sie besinnt sich auf vorindustrielle Werte und Traditionen der Heimatkunst. Thämer, der selbst kein Nationalsozialist wird, passt mit seiner rückwärtsgewandten Kunst in nationalsozialistische Vorstellungen.
Seine Arbeit stellt in der Neulandhalle die anspruchsvollste künstlerische Äußerung dar. Er beherrscht seit seinen Reisen nach Italien die Kunst der Freskenmalerei, also der schnellen, nicht korrigierbaren Feucht-In-Feucht-Malerei auf vorbereiteten Kalkwänden. Schon zeitgenössische Veröffentlichungen beschreiben das vierteilige Werk in der Neulandhalle als großes Fresko. Seither folgen alle Bearbeitungen dieser Einschätzung.
Konservatorische Analysen im Rahmen der Entstehung des Historischen Lernortes 2018 haben aber ergeben, dass es sich in diesem Fall eher um herkömmliche Wandmalerei handelt.